MAX STILLER
Code Six … Jacob Fullers dritter Fall
Randfiguren:
Apple – 29 Jahre alt, Schweizer, lebt in Zürich, IT-Spezialist und ehemaliger Hacker. Er wurde vor drei Jahren in New York wegen hacken des FBI Zentralrechners zu 10 Jahren Haft verurteilt. Fuller, zu dieser Zeit noch beim FBI, heuerte ihn aufgrund seiner genialen Fähigkeiten noch im Gefängnis an, um für das FBI zu arbeiten. Dafür erhielt Apple Straferlass und durfte in die Schweiz ausreisen. Erledigt für Fuller und das FBI nicht immer ganz legale Recherchen.
George Withborn – 51 Jahre, Afroamerikaner, FBI, Leiter Internationale Kriminalität, war Vorgesetzter von Fuller als dieser beim FBI war und ist mit ihm seit Jahren auch privat befreundet. Mit sehr guten Verbindungen weltweit, auch in die höchsten kriminellen Kreise.
Dr. Mertens - Chef von Anne in München, Anfang 60, alte Schule, schätzt Anne von Feldhaus und ihre Arbeit sehr
Prolog
26. April 2014 - Telefonat, irgendwo in den USA:
»Ich glaube, wir haben ihn verloren.«
»Was heißt verloren?«
»Vielleicht ist er auch tot.«
»Na, das klingt doch schon viel besser.«
Havanna, Kuba – 27. April 2014
Er setzte sich auf die erste erreichbare Bank im Parque Central. Dass sie keineswegs im Schatten stand, schien ihn nicht zu stören. Es war gegen 17:00 Uhr Ortszeit und die Sonne brannte für Ende April bereits ungewöhnlich stark vom Himmel. Da er in Miami aufgewachsen war, kam er mit Hitze aber gut zurecht. Auch durch seine weltweiten Einsätze in den unterschiedlichsten, zum Teil extremsten klimatischen Verhältnissen war er so einiges gewohnt. Seine körperliche Verfassung war, wie fast immer, nahezu perfekt. Er war einen Meter fünfundachtzig groß und athletisch durchtrainiert. Langsam strich er sich seine dunkelbraunen, mittlerweile schulterlangen Haare aus dem Gesicht. Er würde ohnehin morgen oder vielleicht sogar noch heute Abend zum Friseur gehen. Sein Blick war auf das gegenüberliegende Gran Caribe Hotel Plaza gerichtet, in dem er ab heute ein Zimmer gebucht hatte. Er mochte dieses alte Hotel mit seiner neoklassizistischen Fassade aus dem Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Ein Viersternehotel, was für Kuba nicht viel hieß, aber es war okay und für seine Zwecke optimal. Es bot eine gewisse Anonymität, keiner interessierte sich für den anderen, jeder machte einfach nur sein Ding, und zum Meer waren es auch nur ein paar Blocks. Er liebte das Meer und würde heute Abend noch mal an den Strand gehen. Zum Nachdenken. Eigentlich hatte er schon viel zu viel nachgedacht in letzter Zeit. Und seit seinem Abflug aus Beirut gestern gab es ohnehin kein Zurück mehr. Er griff in seine Hemdtasche und zog eine verknitterte Packung Marlboro und sein altes Zippo-Feuerzeug heraus. Seit gestern hatte er wieder angefangen zu rauchen, nach zwölf Jahren ohne. Egal, dachte er sich und fischte eine Marlboro aus der Packung. Ein Lächeln überzog sein Gesicht, als er sein Zippo entfachte und sich die Zigarette ansteckte. Er nahm einen tiefen Zug und blies den Rauch langsam in die vor Hitze flirrende Luft. Das Feuerzeug war ein Geschenk seines älteren Bruders Mike. Er hatte es ihm vor fünfzehn Jahren zu seinem dreißigsten Geburtstag geschenkt. Mike war zwei Tage danach zusammen mit seinen Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Zur Beerdigung war er das letzte Mal in Miami gewesen. Er wusste, dass er wohl nie wieder nach Miami würde fahren können. Es war ihm egal, seine Heimat war mittlerweile immer dort, wo er sich gerade wohlfühlte. Die USA hatten ohnehin noch nie wirklich dazugehört, wie er nunmehr feststellen musste. Es gab wahrlich schönere und angenehmere Flecken auf der Erde.
»Willkommen, Sir, in Ihrem neuen Leben«, sagte er kaum hörbar zu sich selbst und musste grinsen.
Er griff sich an seinen linken Oberarm. Das Isolierband, mit dem er sich den Arm vor seinem Abflug in Beirut umwickelt hatte, begann langsam, unangenehm zu jucken. Ob sie schon nach ihm suchen würden? Wahrscheinlich. Nein, ganz sicher sogar. Länger als zehn Stunden außer Reichweite war ungewöhnlich, ja schon fast verdächtig. So lange hielt er sich für gewöhnlich nie innerhalb eines Hotels oder eines anderen Gebäudes auf. Zumindest nicht, ohne sie darüber zu informieren. Nicht, dass sie sich etwa Sorgen um ihn persönlich machten, nein, ganz gewiss nicht. Er persönlich war ihnen ziemlich egal, da war er sich sicher. Aber die Tatsache, dass sie keine Kontrolle mehr über ihn und seine Aktivitäten hatten, würde sie mehr als beunruhigen. Kontrollverlust war sozusagen der »worst case« für sie.
Natürlich kam es oft vor, dass er nicht erreichbar oder besser gesagt nicht zu orten war, aber dann wussten sie zumindest, wo ungefähr er gerade war, und vor allen Dingen, was er gerade tat. Fairerweise musste er sich eingestehen, dass diese permanente Beobachtung ihm mehr als ein Mal das Leben gerettet hatte. Dennoch hasste er das Gefühl, nie wirklich alleine zu sein, nie für sich selbst. Oft bildete er sich auch ein, dass sie selbst seine Gedanken beobachten konnten. Natürlich wusste er, dass das Blödsinn war, aber allein der Gedanke daran verwirrte ihn immer wieder. Tja, das ist nun vorbei, meine Lieben, ein für alle Mal vorbei, dachte er sich, und ein verkrampftes Lächeln überzog seine Lippen. Er hatte genug getan für … ja, für wen eigentlich? Von nun an würde er nur noch das tun, was er wollte. Dazu brauchte er Geld, viel Geld. Im Laufe der Zeit hatte er sich zwar einen recht ordentlichen finanziellen Grundstock geschaffen oder besser gesagt beiseitegeschafft. Es mussten so circa eine halbe Million Dollar sein. Bei der Art zu leben, wie er es sich ausmalte, würde dies aber nicht allzu lange reichen. Er nahm einen letzten Zug und schnippte die Zigarette in hohem Bogen von sich weg. Er stand auf und streckte sich, der lange Flug steckte ihm noch in den Knochen. Er griff nach seiner braunen Ledertasche, die er auf der Bank neben sich abgestellt hatte, und machte sich auf den Weg hinüber ins Hotel.
»Buenas tardes, señor«, begrüßte ihn die Empfangsdame des Gran Caribe Hotel Plaza.
»Guten Tag. Ich habe für zwei Tage ein Zimmer reserviert«, entgegnete er in perfektem Spanisch und schob seinen argentinischen Pass über den Tresen. Es würde ihm in seinem neuen Leben noch mehr als zugutekommen, dass er vier Sprachen beherrschte, neben seiner Muttersprache Englisch sprach er noch französisch, deutsch und spanisch. Auch hatte er sich die letzten Jahre einige Originalpässe von verschiedenen Ländern besorgt, was aufgrund seiner Tätigkeit und der damit verbundenen exzellenten Kontakte zu den unterschiedlichsten Kreisen nicht sonderlich schwer war. Pässe, von denen sie nichts wussten, und vor allen Dingen Pässe, die offiziell waren, das hieß, offiziell registriert. Es waren sogenannte »Twins«. Duplikate von Pässen lebender, existierender Personen. Die Beschaffung solcher Twins war relativ einfach. Man brach in die Häuser und Wohnungen von völlig unbescholtenen Bürgern ein, kopierte dort die Passdaten und verschwand wieder. Die betroffenen Personen bekamen davon nicht das Geringste mit, da weder etwas mitgenommen noch beschädigt wurde. Man wählte nur Häuser und Wohnungen aus, in die man ohne jegliche Beschädigung und ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen eindringen konnte. Es gab weltweit nur zwei Organisationen, die solche Twins besorgen konnten. Im Laufe der Jahre hatte er sich vier solcher Twins verschafft. Da er diese von seinem offiziellen Verdienst nie und nimmer hätte bezahlen können, tat er neben seinen offiziellen Aufträgen gewissen Leuten hin und wieder einen kleinen Gefallen. Vergüten ließ er sich diesen dann nicht mit Geld, sondern eben mit einem Twin. Hierfür gab es seinerzeit zwar keine nachvollziehbaren Gründe, aber er fühlte sich einfach wohler dabei, und es gab ihm eine gewisse Flexibilität, sofern er sie einmal brauchen sollte.
Die Dame an der Rezeption gab ihm seinen Zimmerschlüssel und fragte ihn, ob er noch einen Wunsch habe. Er verneinte, griff sich den Schlüssel und ging zum Lift. Er blickte auf den Schlüssel. Zimmer 425. Er öffnete die Zimmertüre und schmiss seine Reisetasche auf das Kingsize-Bett. Viel hatte er nicht mitgenommen aus Beirut, warum auch? Alles, was er brauchte, konnte er sich an jedem Ort der Welt kaufen. Er ging zur Minibar, öffnete sie und nahm eine Miniflasche Johnny Walker und ein Sodawasser heraus. Er schraubte die Whiskeyflasche auf und trank sie in einem Schluck leer. Dann holte er seine Zigaretten und sein Zippo aus seiner Hemdtasche und steckte sich eine an. Er ging zur Balkontüre und öffnete sie. Zwischen den Häusern konnte er teilweise das Meer erkennen. Er atmete die heiße Luft, die in das Zimmer drang, tief ein. Eine ganze Zigarettenlänge lang stand er auf dem Balkon und blickte regungslos Richtung Meer und in den Himmel. Er schnippte die Zigarette vom Balkon hinunter und ging zurück ins Zimmer. Aus seiner Tasche holte er seinen Kulturbeutel heraus und entnahm diesem ein Fläschchen reinen Alkohol, ein Päckchen Rasierklingen und eine Pinzette. Dann ging er ins Bad und drehte das heiße Wasser im Waschbecken auf. Er begann, das Isolierband von seinem linken Oberarm zu entfernen. Sein Pulsschlag fing an, sich signifikant zu erhöhen. Er wusste, dass er schnell sein musste, auch wenn er sich innerhalb eines Gebäudes befand. Das Isolierband hatte den Kontakt zwar unterbrochen, jedoch war er sich nicht ganz sicher, wie lange es dauern würde, bis er wieder sendete. Als das letzte Stück des Isolierbandes entfernt war, spannte er seinen Oberarmmuskel an und schüttete etwas Alkohol darüber. Er atmete tief und lang ein und setzte die Rasierklinge an seinem Bizeps an. Exakt in der Mitte. Er kniff die Augen etwas zusammen und setzte sich einen ungefähr vier Zentimeter langen und einen Zentimeter tiefen Schnitt an der Innenseite seines linken Oberarmes. Er nahm eines der Handtücher und drückte gegen die Wunde, um die doch recht heftige Blutung etwas zu stoppen. Den Schmerz, den der Schnitt versucht haben musste, nahm er scheinbar nicht wahr. Nach gut zehn Sekunden warf er das Handtuch in das Waschbecken und griff nach der Pinzette. Vorsichtig öffnete er mit Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand die Wunde etwas. Nun konnte er ihn erkennen, den Chip, der bisher sein Leben bestimmt hatte. Er packte die Spitze des Chips mit der Pinzette und zog ihn langsam heraus. Er nahm ihn zwischen zwei Finger und brach ihn in zwei Teile auseinander. Ein seltsames Gefühl durchströmte seinen Körper. Ein Gefühl, wie er es schon seit Ewigkeiten nicht mehr verspürt hatte. Erst jetzt realisierte er, dass die Wunde an seinem Arm noch stark blutete. Er schüttete den Rest des Alkohols darüber und presste sie mit seinen Fingern stark zusammen. Er griff nach seinem Kulturbeutel und schüttete den Inhalt in das Waschbecken, das mittlerweile die rote Farbe des Blutes angenommen hatte. Er schnappte sich das kleine Klammergerät und verschloss die Wunde mit sechs Klammern. Das Gerät hatte er sich noch in Beirut in einer Klinik besorgt. Für lächerliche zwanzig Dollar. Damit umzugehen wusste er, da er schon des Öfteren mal kleinere Verletzungen selbst hatte versorgen müssen. Die Blutung war fast zum Stillstand gekommen. Er träufelte noch etwas Jod auf die Wunde und wickelte sich das Handtuch um den Oberarm, ging zurück ins Zimmer und holte aus seiner Tasche einige Mullbinden und eine Rolle Leukoplast. Mit beidem verband er die Wunde fachgerecht. Er öffnete das Sodawasser und leerte es mit einem Zug. Sein Blick suchte das Bett nach seinen Marlboro ab. Scheiß Rauchen, dachte er sich noch, bevor er sich eine weitere ansteckte. Er ließ sich rücklings auf das Bett fallen und sog tief an der Zigarette. Er fühlte sich gut. Ein Gefühl, das er schon lange nicht mehr gehabt hatte. Nach gut einer Minute setzte er sich wieder auf und holte ein Handy aus seiner Reisetasche. Er hatte sich in Beirut noch fünf Handys und jede Menge Prepaidkarten besorgt. Er wusste, dass er jetzt nicht den geringsten Fehler machen durfte, und er würde pro Anruf eine neue, unbenutzte Prepaidkarte benutzen. Als das Handy Signal hatte, holte er seinen kleinen Moleskine aus der Tasche. Der war derzeit sein wertvollstes Kapital. Darin hatte er alle wichtigen Telefonnummern und Adressen notiert. Dies war die Basis für sein neues Leben. Er wählte eine Nummer in Singapur. Nach gefühltem zehnmaligen Klingeln meldete sich eine Stimme am anderen Ende der Leitung mit einem kurzen »Hello«.
»Hallo Wan, hier ist der Ami.«
»Ah … der Ami. Hallo mein Freund. Was kann ich für dich tun? Wo steckst du denn, bist du in Singapur?« Er kannte Wan aus seiner langjährigen Zeit in Asien. Wan war sozusagen der Chief Operator des organisierten Glücksspiels im asiatischen Raum. Nicht ganz oben, aber in der zweiten Ebene »der Mann«. Wan nannte ihn immer »mein Freund«. Nicht, dass sie groß befreundet wären, nein, er hatte keine wirklichen Freunde, und Wan wahrscheinlich auch nicht. Mein Freund bedeutete bei Wan nicht viel, er würde nicht mit der Wimper zucken, seinen »Freund« aus dem Weg zu schaffen, wenn es nötig sein sollte. Andererseits war Wan ein Profi und man konnte sich hundert Prozent auf ihn verlassen. Vorausgesetzt, die Geschäfte, die man mit ihm machte, liefen reibungslos und erfolgreich ab. Dann konnte man sich auf den dort üblichen Ehrenkodex verlassen. Was ein Mal ausgemacht war, wurde auch eingehalten. Ohne Wenn und Aber.
»Ich habe mich jetzt selbstständig gemacht und dachte, wir könnten mal ein Geschäft zusammen machen«, entgegnete er.
»Selbstständig? Ha, ha. Ich habe mich immer schon gefragt, warum du die ganze Scheiße für die paar Dollars überhaupt machst. Aber du bist halt ein echter Ami.«
»Hör zu, Wan. Ich könnte jetzt hin und wieder einen Auftrag für euch erledigen. Bist du interessiert?«
»Warum kommst du nicht ganz zu mir? Du weißt, ich habe dir das schon oft angeboten. Easy life und viele Dollars. Wir würden uns freuen. Einen echten Ami hatten wir noch nie. Ha, ha.«
»Nein, vielen Dank, Du weißt doch, dass ich die Schlitzaugen nicht besonders mag.« Wan musste lauthals lachen. Er kannte seinen Humor und er liebte ihn.
»Okay, mein Freund. Kannst gerne was für uns machen. Wie viel willst du denn dabei verdienen?«
»Minimum fünfhunderttausend Dollar. Besser mehr.«
»Hohoho, eine halbe Million. Nicht schlecht. Aber okay. Da hätte ich schon was für dich. Nicht einfach, aber lohnenswert. Du organisierst alles selbstständig. Zweihundertfünfzigtausend vorab für die Organisation und den Rest nach Erledigung. Okay?«
»Okay. Um was für einen Auftrag handelt es sich denn? Du weißt, dass ich keine Entsorgungen mache.«
»Ich weiß, mein Freund. Keine Angst, es kommt niemand wirklich zu Schaden, und wenn doch, dann liegt es nur an dir. Du hast alles selbst in der Hand. Hast du meine E-Mail-Adresse noch?
»Hab ich.«
»Dann schick mir eine Mail-Adresse von dir und ich lasse dir die Details zukommen. Und sag mir, wie und wohin du das Geld haben willst.«
»Mach ich. Hast du schon eine Idee, was ich für euch tun kann?«
»Eine Idee? Wie gesagt, ich habe bereits den perfekten Auftrag für dich. Lass dich überraschen. Es wird dir gefallen. Es gibt nur eine Bedingung: Der Auftrag muss exakt so durchgeführt werden, wie von uns vorgegeben. Ohne Wenn und Aber. Sonst ist der Deal geplatzt. Solltest du es nicht hinbekommen, gehen alle bis dahin entstandenen Spesen zu deinen Lasten. Die zweihundertfünfzig Riesen hast du dann innerhalb von drei Tagen zurückzuzahlen. Und du weißt, mein Freund, wir finden dich, egal wo, genauso wie du uns finden würdest, wenn es sein muss.«
»Alles klar. Bis dann.« Er beendete das Gespräch und entfernte die Prepaidkarte aus dem Handy und warf sie in den Aschenbecher, der auf dem Nachtkästchen neben dem Bett stand. Dann zündete er sie an.
Beirut – drei Tage früher
Claudine lag schlafend neben ihm im Bett. Sie hatte ihm den Rücken zugedreht und ihre Beine eng angezogen. Mit beiden Händen umklammerte sie das Ende des dünnen Leintuchs, das ihren Körper bedeckte. Ihre schwarzen Haare funkelten im rötlichen Licht der untergehenden Abendsonne, die ihre letzten Strahlen durch das Zimmerfenster schickte. Obwohl sowohl das Zimmer als auch das Hotel eher unteres Niveau hatten, fühlte er sich wohl. Es war sauber, und vor allem stellte keiner irgendwelche Fragen. Er setzte sich auf und lehnte sich an die kalte Wand am Kopf des Bettes. Er hatte Claudine bereits am ersten Tag, als er nach Beirut kam, kennengelernt. Das war nun drei Monate her. Seitdem waren sie zusammen. Sie war Französin, hatte aber eine libanesische Mutter und war in Beirut aufgewachsen. Sie war einunddreißig und sah einfach hinreißend aus. Die vierzehn Jahre Altersunterschied zu ihm schienen sie nicht zu stören. Sie war bereits seit gut einem Jahr hier und für eine internationale Hilfsorganisation tätig. Sie organisierte die ärztliche Versorgung in den zahlreichen Flüchtlingslagern am Rande der Stadt. Er schien sie irgendwie zu faszinieren. Ein Ami mit schulterlangen Haaren, gut aussehend, sportlich und dann auch noch Schriftsteller. Man hatte ihm diesmal die Identität eines Schriftstellers verpasst. Perfekt, wie immer. In seinem Hotelzimmer lagen zwei unfertige Manuskripte herum. In seinem Laptop befanden sich die zwei dazugehörigen Dateien. Wenn man nach ihm googelte, erschienen unter anderem auf Amazon bereits drei veröffentlichte Romane von ihm, und man konnte diese auch ganz offiziell bestellen. Es war alles wie immer, zu hundert Prozent durchorganisiert. Er strich ihr sanft über die Haare. Ihr mädchenhaftes Gesicht schien ihn im Schlaf anzulächeln. Wie würde sie wohl reagieren, wenn er ihr seine wahre Identität beichten würde. Er verwarf den Gedanken ganz schnell wieder. Erstens wusste er, dass er das niemals tun würde, und zweitens würde sie es ohnehin nicht verstehen. Er lebte in einer Welt, zu der sie nie Zugang finden würde, die sie nie verstehen würde, nein, die sie sich nicht einmal vorstellen könnte. Er hatte eigentlich fast immer irgendwelche Affären in den Städten, in denen er aktiv war. Diesmal war es aber anders. Hatte er sich verliebt? Er lächelte. Nein, Liebe war es eher nicht, auch wusste er gar nicht, wie er Liebe definieren sollte. Es war eher eine Art Sehnsucht nach etwas, was er nicht kannte und was mit seinen Aktivitäten auch nicht kompatibel wäre. Sein Flug ging morgen früh, aber er wollte sich diesmal nicht einfach davonstehlen wie sonst immer. Aber was sollte er tun? Mitnehmen konnte er sie nicht. Selbst wenn sie gewollt hätte. Er hätte ihr zu viel erklären müssen, und sie hätte es ohnehin nicht verstanden. Er griff nach dem Wasserglas, das neben dem Bett auf dem Boden stand. Er leerte es mit einem Schluck. Claudine schien aufzuwachen, zumindest gab sie ein leises, stöhnendes Geräusch von sich und kuschelte sich an ihn. Gerade als er sich zu ihr hinunterbeugen wollte, um sie zu küssen, ........................
Protagonisten:
Anne von Feldhaus – 36 Jahre alt, 1,75 m groß, schlank und sportlich, Kurzhaarfrisur, ledig, Abitur, Polizeihochschule, Polizeidienst in Hamburg, 2 Jahre bei Interpol in Lyon, dann jüngste stellvertretende Leiterin der Mordkommission in München, engagiert und ehrgeizig.
Jacob Fuller – 46 Jahre alt, 1,82 m groß, sportliche Erscheinung, kurze braune angegraute Haare, geboren in New York, Deutschamerikaner mit doppelter Staatsbürgerschaft, Vater Amerikaner, Mutter Deutsche, aufgewachsen in New York, Studium Kriminologie und einige Semester Psychologie in München und New York. Dann beim FBI als Ermittler Internationale Kriminalität, nach dem Tod seiner Eltern vor 6 Jahren wieder in Deutschland beim BKA, hoch professioneller Profiler mit etwas eigenwilligen Ermittlungsmethoden und sehr individueller Auffassung von Gerechtigkeit.